Berlin | Der Arbeitskreis Innovative Technologien erkundigte sich am 17. April nach neuen Wegen der Ausbildung für die Industrie 4.0. AK-Vorsitzender Lothar Starke berichtet über den Besuch bei bei der SIEMENS AG, Human Resources Learning and Education in Berlin-Siemensstadt:
SIEMENS ist ein international tätiges Unternehmen, weltweit das Größte in der Elektrotechnik, mit rund 350.000 Mitarbeitern. Das Unternehmen bildet in Deutschland 6.470 Mitarbeiter aus, davon 1300 in Berlin. Mit der Ausbildung in ca. 20 technischen und kaufmännischen Berufen sowie dualen Studiengängen ist SIEMENS in Berlin ist der größte industrielle Ausbildungsbetrieb in der Region. Darüber hinaus ist Berlin der größte Ausbildungsstandort von SIEMENS weltweit. Die Veranstaltung begann mit einer Führung durch den Bereich der praktischen Ausbildung, dann erfolgten die Ausführungen zu dem Thema der Veranstaltung mit einer anschließenden Diskussion. Geführt wurde die Gruppe seitens SIEMENS durch Daniel Steier.
Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche der Gesellschaft
Mit der Digitalisierung wird sich die Gesellschaft verändern, die Anforderungen an die Menschen umfassen sowohl den privaten als auch den beruflichen Bereich. Die großen Komplexe in diesem Prozess sind:
- Das Internet der Dinge,
- Die intelligente Fabrik, Industrie 4.0
- Das Gesundheitswesen und
- Der öffentliche Bereich
Deshalb ist es erforderlich, dass die Vorbereitung auf die Anforderungen der Zukunft in der Schule beginnt und in der Aus- und Weiterbildung für die berufliche Entwicklung fortgesetzt wird. Bisher fehlen dafür die notwendigen Konzepte und bildungspolitischen Entscheidungen, was durch die dezentrale Struktur unseres Bildungssystems mit bedingt ist. Deshalb ist es wichtig, dass es Pioniere in der Wirtschaft gibt, die sich dieser Aufgabe stellen und neue Wege in der Aus- und Weiterbildung betreten. Zu diesen Vorreitern gehört die SIEMENS AG, die in Ihrem Bereich Aus- und Weiterbildung in Berlin ein neues Konzept für die berufliche Bildung für Industrie 4.0 praktisch erprobt. Dieses Konzept konnten die Teilnehmer der Veranstaltung anschaulich studieren und diskutieren.
Die Ausbildung für Industrie 4.0 bei SIEMENS
Die Arbeitswelt wird sich in Zukunft erheblich wandeln. Auf dem Weg in die Arbeitswelt der Zukunft ist die berufliche Bildung – sowohl Ausbildung als auch Weiterbildung – für die Beschäftigten und die Unternehmen gleichermaßen von zentraler Bedeutung. Bei SIEMENS beschäftigt sich seit 2014 ein Team in einem bundesweit angelegten Strategieprojekt mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Ausbildung. Zwischenzeitlich wurden erste Antworten für die Aus- und Weiterbildung gefunden und werden praktisch eingesetzt.
So wurden 25 Bildungs-Gaps (Bildungslücken) für die Digitalisierung identifiziert, zum Beispiel Cloud Computing, Machine-to- Machine-Communication, Netzwerktechnik, Identifikationssysteme, Sensorik, Robotik, Embedded Systems und generell mehr Business-Qualifikationen. Herr Steier stellte die 15 Berufsrollen vor, für die die Veränderungen zutreffen sowie die betroffenen 25 Lernkomplexe aus den Lernfeldern:
- Informationstechnik
- Elektro / Mechatronik
- Überfachliches und
- Betriebswirtschaftslehre
In einem Spinnendiagramm wurde der heutige Ist-Ausbildungsstand dargestellt und der morgige Soll-Ausbildungsstand vorgegeben. Dabei wurden die teils erheblichen Defizite zwischen den beiden Parametern deutlich, die als zusätzlicher Kompetenzbedarf in den 25 identifizierten Lernkomplexen erkennbar sind.
Kompetenz-Profile mit ständigem Ist-Soll-Vergleich
Alle gesammelten Informationen, die erstellten Kompetenz-Profile für alle Bildungsgänge sind in einer "Datenbank Bildung Industrie 4.0" hinterlegt (nicht veröffentlicht). Bei SIEMENS erfolgt die Erprobung und kontinuierliche Nutzung der Soll-Kompetenz-Profile in der Aus- und Weiterbildung, dabei kommt es zu Anpassungen und Weiterentwicklungen.
Herr Steier stellte dann die praktische Anwendung in der Berufsausbildung bei der SIEMENS AG in Berlin vor. Für die Realisierung dieses Konzeptes ist es von Vorteil, dass der Ausbildungsbereich des Unternehmens nicht nur die praktische Ausbildung umfasst, sondern dass auch die Berufsschule, entgegen der Praxis in Deutschland, dazu gehört. Dadurch war es zum Beispiel möglich, Lehrer und Ausbilder gemeinsam für die neuen Inhalte der Ausbildung zu schulen. Die Jugendlichen arbeiten an Projektthemen, für die sie keine Aufgabenbeschreibung oder Anleitung bekommen. Sie sehen ein Problem und müssen dafür eine Lösung finden.
Kompetenz-Schulung durch selbstständiges Lernen
Die Lernenden bestimmen, was sie bauen. Ihren gefundenen Weg müssen sie begründen, zeigen dass es sich rechnet und es muss praxistauglich sein. Diese Art zu lernen erfordert eine offene Feedbackkultur und es werden die Kompetenzen geschult, die die Industrie 4.0 von den Beschäftigten verlangt. Die Ausbildung im Ausbildungszentrum ist in Wochen-Sequenzen unterteilt, die sich zu Modulen zusammenfügen. In einem Ausbildungsjahr sind mehrere Module zu absolvieren. Anwenden müssen die Azubis ihr Wissen dann unmittelbar in Projekten.
Noch Defizite bei persönlichen und sozialen Kompetenzen
Herr Steier ging dann auf die Anforderungen ein, die die Schulabgänger für die Ausbildung erfüllen müssen. Die Bewerber sind in der Regel zwar mit Internet und Smartphone vertraut, aber an vielen Kompetenzen hapert es. Dazu zählen Selbstmanagement, Teamfähigkeit, Lernmanagement oder Konfliktfähigkeit. Aber auch bei den Grundkenntnissen in Deutsch, Mathematik und Physik sind die Defizite oft erheblich.
Geringe Abbrecherquote durch digitales Auswahlverfahren
In einem weiteren Teil der Ausführungen wurde der Weg der Bewerbung und der Auswahl für eine Ausbildung bei SIEMENS vorgestellt. Das erfolgt in den Arbeitsschritten:
- Interesse bekunden
- Online-Bewerbung
- Online Assessment
- Mündliches Auswahlgespräch bis
- Einstellung
2017 wurden von rund 25.000 Online-Bewerber nach der Auswahl 1691 Bewerber eingestellt. Dieses erprobte Verfahren ist ein Grund dafür, dass die Quote der Abbrecher in der Ausbildung unter 5 % liegt.
Teilnehmer sprechen sich für einheitliche Lehrpläne aus
In der Diskussion war ein Schwerpunkt die erforderliche Vorbereitung auf die generellen Anforderungen der Digitalisierung an den Schulen. Die an der Veranstaltung teilnehmenden Lehrer wiesen darauf hin, dass an den Schulen dafür sowohl die technischen Voraussetzungen weitgehend fehlen, als auch die Ausbildung der Lehrer diesen Anforderungen nicht entspricht. Hinzu kommt, das die heutigen Lehrpläne die Überwindung der aufgezeigten Defizite nicht ermöglichen. Die aufgezeigten Probleme zu überwinden bedeutet, dass durch eine einheitliche Bildungspolitik für Deutschland dafür die inhaltlichen und finanziellen Bedingungen zu schaffen sind.
Ein weiterer Punkt der Diskussion betraf die Tatsache, dass der Anteil von Frauen bei technischen Berufen und Studienrichtungen immer noch völlig unzureichend ist. Trotz erheblicher Anstrengungen wie Girls-Day, Schnupperkursen und anderen Programmen hat sich die Situation nicht verändert. Die Digitalisierung wird viele einfache Arbeitsplätze überflüssig machen, die verbleibenden Arbeitsplätze erfordern aber eine höhere Qualifikation, die besonders bei den technischen Berufen auch zukünftig gute berufliche Chancen bietet. Dazu werden durch die Digitalisierung viele neue Arbeitsplätze (z.B. Cloud Engineer, Data Analyst) geschaffen, welche eine digitale Kompetenz als Grundvoraussetzung haben.